Gespräche mit Nachbarn sind manchmal schon sehr skurril und für Außenstehende, die nicht in der gleichen Straße wohnen vielleicht auch ab und an etwas befremdlich. Da wird philosophiert, wer am letzten Wochenende wieder bis tief in die Nacht laut Musik gehört hat oder wessen Auto mal wieder zwei Parkplätze belegt hat und warum die Mülltonne von Familie XY mal wieder erst morgens an die Straße gestellt wurde. Natürlich geht es auch oft um Kindererziehung, Hundehaufen am Gehweg und lustige Anekdoten aus den guten alten Zeiten.
Am vergangenen Wochenende schwenkte das Thema jedoch schnell auf ein etwas pikanteres Thema um.
Nachbar X hatte vor ein paar Tagen auf seinem Grundstück ein Kondom gefunden und wir rätselten in heiterer Runde, wer hier wohl Nachts in fremden Gärten unterwegs gewesen sein könnte. Nachbar Y schlug vor, man könne ja die guten alten Kondomaten, wie es sie früher gab, wieder zum Leben erwecken und einen vorne an der Straße errichten. Ich protestierte: Geht das wirklich gut bei den ständigen Temperaturschwankungen? „Temperaturschwankungen?“ lachte Nachbar X laut. Wer braucht denn noch Automaten für derartige Artikel? Kondome in allen Geschmacksrichtungen, Größen und Formen gäbe es ja schließlich zu Hauf in jeder Drogerie um die Ecke, direkt neben den Windeln und den Breigläschen – wohl als zusätzliches Verkaufsargument.
Da meldetet sich Nachbarin S auf einmal zu Wort. Bisher hatte sie sich gekonnt zurückgehalten und hat eher unbeteiligt gewirkt. „Also wenn wir so einen Kondomautomaten hier an die Straße setzen, dann möchte ich aber für mich und meine Freundin auch Lecktücher im Sortiment haben.“
Zack.
Stille.
Man hätte eine Stecknadel auf dem Boden fallen hören.
Und dabei ging es uns nicht um die Tatsache, dass Nachbarin S eine Freundin hat.
Ich fand als erstes meine Sprache wieder: „Was für Tücher?“
Nachbarin S: „Na Lecktücher! Sagt bloß, ihr kennt die nicht.“
Einvernehmliches Kopfschütteln.
Aber nun hatte sie alle Blicke und sämtliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Bereitwillig erklärte sie: „Na die legt man der Frau zwischen die Beine, wenn man… na ihr wisst schon. Wer will denn schon Geschlechtskrankheiten am Mund bekommen?“
Und wo bekommt man die Dinger? Noch nie gehört. Wir wirkten alle immer noch leicht verwundert. „Die kann man ganz einfach bei jedem großen Onlineversand bestellen.“
Keine zehn Sekunden später hatten drei der sechs anwesenden Nachbarn das Handy gezückt und waren fleißig am Tippen.
„Die gibt es ja sogar mit Geschmack,“ entfuhr es Nachbar Y. „Vanille und Erdbeere!“
Und Nachbar X ergänzte: „Ja, ich hab hier Minze und Wildberry gefunden!“
„Die sind echt praktisch,“ erklärt Nachbarin S. „Das hört sich erstmal komisch an mit so einem Tuch, aber es ist total praktisch und hygienisch. Lecktücher sind eine wichtige Schutzmaßnahme im Sinne von Safer Sex, da über den Mund ebenfalls auch HIV, HPV und Hepatitis B übertragen werden können.“ Wir nickten beeindruckt. Wer möchte schon zum Hausarzt gehen und erklären, wobei man sich Syphilis oder Chlamydien am Mund eingefangen hat?
Gar nicht schlecht solche Tücher. Sollte so ein Automat kommen, würden diese Teile auf jeden Fall mit ins Sortiment aufgenommen werden, da waren wir uns alle einig. Natürlich in allen Geschmacksrichtungen.
Wir wechselten das Thema und liefen wenig später auseinander, aber es blieb der Eindruck, dass wir alle von Nachbarin S heute etwas Wichtiges gelernt hatten. Und wer weiß, wer von uns sechs auch gleich eine Bestellung aufgegeben hat?
Eine tolle Idee, diese Lecktücher.
So sollte der Verkauf dieser Tücher jedoch auch außerhalb des World Wide Web möglich sein, oder? Viel mehr Menschen müssen überhaupt erst einmal von der Existenz dieser Tücher erfahren!
Und wer weiß, vielleicht heißt es dann bald an der Kasse im Supermarkt: „Helga, was kost´n die Lecktücher mit Erdbeergeschmack?“
11.09.2019