Wenn jemand plötzlich verstirbt oder die Polizei mit einer Todesnachricht vor der Tür steht, dann ist sie meist mit dabei: Elke Braun vom Kriseninterventionsteam der Malteser in Norderstedt. Gemeinsam mit ihren 22 Teammitgliedern ist sie für den gesamten Kreis Segeberg im Einsatz. Ihre Aufgabe: Erste Hilfe für die Seele. Wir haben Elke besucht und sie gebeten, uns von ihrem Ehrenamt zu erzählen.
Ein Ort für Gespräche
Als Elke uns die Tür öffnet und uns in die Räume der Malteser führt, fällt uns sofort die entspannte Atmosphäre auf. Wir sitzen an einem großen Tisch und können durch das große Fenster auf eine kleine gepflegte Terrasse schauen. „Hier sitzen wir gerne zusammen und tauschen uns aus“, sagt Elke, als hätte sie unsere Gedanken erraten. Seit rund 2 Jahren treffen sich die ehrenamtlichen Helfer der Malteser hier zu regelmäßigen Treffen und um sich auszutauschen. Im Moment sind wegen der Ausgangsbeschränkungen keine Treffen möglich, aber die Teammitglieder telefonieren regelmäßig und tauschen sich über Nachrichten aus.
Besondere Art
Elke ist Kriseninterventionshelferin. Gelernt, geprüft und mit jahrelanger Erfahrung im Bereich Krisenintervention. Sie leitet das Kriseninterventionsteam und ist als Stadtbeauftragte für den gesamten Ortsverein in Norderstedt verantwortlich. Das Einsatzgebiet des Teams umfasst neben der Stadt Norderstedt auch alle weiteren Bereiche des Kreises Segeberg. Die Räume der ehrenamtlichen Helfer befinden sich im Falkenkamp 2. Die St. Hedwig Kirche ist direkt nebenan, das Gemeindezentrum ebenfalls. Neben der Krisenintervention bietet der Ortsverein einen Besuchs- und Begleitdienst und einen Sanitätsdienst, der sich noch im Aufbau befindet, an.
Zurückhaltend und vorsichtig
Elke ist ein zurückhaltender Mensch. Vorsichtig, dezent und sehr aufmerksam. Wer in ihre grünen Augen blickt, ertrinkt in Ruhe und ist irgendwie versucht, ihr alle Geheimnisse der Welt anzuvertrauen. Man kann gar nicht anders, als sich zu entspannen. Und wenn sie lächelt wird es einem angenehm warm ums Herz. Jede Art der Anspannung löst sich in Luft auf. Ein schönes Gefühl.
Der Tod gehört zum Leben dazu
Egal, ob es plötzlich passiert, oder schon ein langer Leidensweg hinter den Menschen liegt – der Tod gehört zum Leben dazu. Wie könnte das eine ohne das andere sein? Irgendwie verständlich und schade zugleich. Und dass das Sprechen darüber nicht unangenehm, sondern interessant und durchaus auch positiv sein kann, erklärt Elke uns im Interview.
Elke, Du bist seit 7 Jahren im Kriseninterventionsteam. Wie bist Du zu der ehrenamtlichen Tätigkeit gekommen?
Elke: „Ich war 21 als meine 15-jährige Schwester gestorben ist. Das war ein riesiger Schock für mich und meine Familie. In dem Moment fühlte ich mich sehr allein. Ich hätte mir in der Situation jemanden gewünscht, mit dem ich reden kann und der Zeit für mich und meine Gefühle hat. Mir gingen so viele Dinge durch den Kopf, ich hatte so viele Fragen, aber es war niemand da, mit dem ich mich hätte austauschen können. Da wusste ich nicht, was Seelsorge oder Krisenintervention ist und das es solche Hilfsangebote gibt. 2013 gab es dann in Norderstedt einen Zeitungsartikel über das Kit-Team und einen Aufruf, dass man dringend Verstärkung benötigen würde. Das hat mich neugierig gemacht. Ich möchte nicht, dass es anderen Menschen so ergeht wie mir. Niemand soll in einer schwierigen Situation alleine sein müssen.“
PSNV, Notfallseelsorge, Krisenintervention, Kit – was genau bedeuten diese Begriffe?
Elke: „PSNV ist die allgemeingültige Abkürzung für Psychosoziale Notfallversorgung. Diese wird ergänzt durch die Buchstaben B und E. Das B steht für Betroffene und das E für Einsatzkräfte. Für beide Bereiche gibt es speziell ausgebildete Teammitglieder. Auch Einsatzkräfte benötigen nach belastenden Einsätzen manchmal jemanden zum Reden, dies nennen wir dann einen „PSNV E“- Einsatz. Der weltliche Begriff der Notfallseelsorge ist die Krisenintervention. Wir kürzen es gerne als „Kit“ ab. Hier gibt es unterschiedliche Träger. Im Kreis Segeberg teilen sich die Kirchen, das Deutsche Rote Kreuz und wir als Malteser die Dienste. Bei unseren Nachbarn in Pinneberg gibt es derzeit nur die Kirchen als Anbieter.“

Wie bereitest Du Dich auf Einsätze vor?
Elke: „Wenn ich Dienst habe, achte ich immer auf einen gut geladenen Akku bei meinem Telefon und einen vollen Tank beim Auto. Wenn ich unterwegs bin, habe ich meine Einsatzkleidung im Auto, damit ich nicht erst noch einmal nach Hause fahren muss. Ich nehme mir immer vor, ausgeschlafen zu sein, aber meistens bleibt es bei dem Vorsatz. Da ich nicht weiß, was mich am Einsatzort erwartet und wie lange so ein Einsatz geht, verschwinde ich auf jeden Fall noch einmal auf das stille Örtchen. Die Alarmierung erfolgt über mein Handy. Wenn ein Unglück geschehen ist und der Rettungsdienst, die Polizei oder die Feuerwehr uns am Einsatzort benötigen, läuft die Koordination über die Rettungsleitstelle. Diese verständigt uns und gibt uns alle notwendigen Informationen telefonisch durch.“
Wie lange dauert ein Einsatz?
Elke: „Das kommt ganz drauf an. Die Menschen sind ebenso unterschiedlich wie unsere Einsatzmeldungen. Von einer Stunde bis zu einer ganzen Nacht war schon alles dabei. Wir nehmen uns die Zeit, die der Betroffene benötigt. Wenn die Schockstarre vorbei ist und wir erkennen, dass jemand seine Handlungsfähigkeit zurückerlangt hat, dann ist es meist ein guter Zeitpunkt, um zu gehen. Manche sagen auch, dass sie sich besser fühlen und jetzt alleine sein möchten. In den meisten Fällen sagen die Menschen hinterher: „Danke, dass sie da waren. Das hat mir gut getan.“ Das Gefühl dabei lässt sich schwer beschreiben, denn wir begleiten Menschen in Ausnahmesituationen. Sie haben gerade einen schlimmen Unfall mit angesehen oder einen geliebten Familienangehörigen verloren. Und ich durfte in diesen schweren Stunden an ihrer Seite sein und diese Zeit mit ihnen durchstehen. Das sind sehr intime Momente und ich bin dankbar, dass mir die Menschen vertrauen und ich einfach für sie da sein kann.“

Wie geht es nach einem Einsatz weiter?
Elke: „Das wichtigste ist für uns der gemeinsame Austausch. Wir fahren nie alleine zu einem Einsatz, sondern sind immer mindestens als Zweierteam unterwegs. Nach dem Einsatz sprechen wir nochmal über unsere Eindrücke und das Erlebte. Wir achten aufeinander und gucken, wie es unserem Teampartner geht. Niemand soll mit einem schlechten Gefühl nach Hause fahren. Bei uns im Team kann sich jeder auf den anderen verlassen. Wenn jemand nach einem Einsatz noch Gesprächsbedarf hat, haben wir immer ein offenes Ohr füreinander. Ich bin sehr dankbar, dass ich Teil eines so wunderbaren Teams sein darf und ich mich auf jeden einzelnen verlassen kann.“
Kannst Du zu Hause direkt zum Alltag übergehen?
Elke: „Nein, so schnell geht das nicht. Wenn ich die Einsatzkleidung ausgezogen und wieder in den Schrank gelegt habe, wasche ich mir ausgiebig die Hände. Damit wasche ich mir symbolisch die Erlebnisse ab und spüle sie weg. Danach gönne ich mir die Zeit für einen heißen Tee und starte dann wieder mein normales Tagesprogramm.“
Das Ziel einer Notfallseelsorge ist es, eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu vermeiden. Was ist so gefährlich daran?
Elke: „Es ist wie mit einem Puzzle. Eben noch kann man ein wunderschönes Motiv erkennen und im nächsten Moment wird dieses Puzzle ohne ihr Einverständnis auseinander gerissen. Vor ihnen liegen tausende kleine Teile, die kein Bild mehr ergeben. Diese Situation ist kein Alltag. Was im Inneren dadurch passiert, ist eine normale Reaktion auf ein anormales Ereignis. Die Nachwirkungen davon halten meist zwei bis drei Tage. So lange dauert normalerweise ein Verarbeitungsprozess. Dauert es länger als drei oder vier Tage, sollte man einen Arzt um Rat fragen. Eine posttraumatische Belastungsstörung bedeutet, dass die Belastung nicht weniger wird, sondern sich festsetzt. Im schlimmsten Fall führt es dazu, dass die Betroffenen auf Dauer handlungsunfähig bleiben. Wir helfen mit unserer Arbeit dabei, die Puzzleteile wieder einzusammeln.“
Wie wird man Mitglied in einem Kriseninterventionsteam?
Elke: „Unser Team ist bunt gemischt und wir freuen uns über Menschen, die sich engagieren möchten und bereit sind, tage- oder stundenweise Dienste zu übernehmen. Die Ausbildung umfasst ein 80-stündiges Ausbildungsprogramm mit anschließendem Praktikum. Die Kosten für die Ausbildung übernimmt der Malteser Hilfsdienst. Wir treffen uns regelmäßig zum gemeinsamen Austausch, organisieren Fortbildungen und sprechen über unsere Einsätze. Bei uns im Team geht es herzlich zu, wir sind füreinander da und auch wenn es komisch klingt – wir lachen sehr viel bei unseren Treffen. Krisenintervention ist ein Ehrenamt für Personen, die schon bei sich im Freundes- und Bekanntenkreis gerne aufgesucht werden, weil sie gut zuhören können und eine gewisse Gelassenheit mit sich bringen.“

Wo kann ich mich melden, wenn ich Interesse habe?
Elke: „Am besten direkt bei mir. Ich bin telefonisch gut zu erreichen. Wer lieber eine Mail senden möchte, darf dies natürlich auch gerne tun. Ich freue mich über nette Anrufe und Emails.“
Wenn Du Dir etwas für die PSNV im Kreis Segeberg wünschen dürftest, was wäre das?
Elke: „Wir versuchen bei Messen, Übungen und Aktionen mit Feuerwehren, der Stadt und dem Rettungsdienst so oft wie möglich präsent zu sein, werden aber leider noch immer oft übersehen. Ein Messestand an dem es um Trauer und Tod geht, ist nicht so ein Besuchermagnet wie bunte Autos mit blitzenden Lichtern auf dem Dach. Ich würde mir wünschen, dass wir die Versorgung für die Menschen hier in der Gegend weiter ausbauen könnten, um im Einsatzfall noch schneller vor Ort sein zu können.“
Kontakt:
Malteser Norderstedt
Elke Braun
Falkenkamp 2
22846 Norderstedt
Tel. 0171 – 84 92 824
Email: elke.braun@malteser.org
Internet: www.malteser-im-norden.de
29.05.2020
Fotos: Maike Heggblum