Wer ist schon gerne krank? Egal, ob Rückenschmerzen, Heuschnupfen, Migräne, Sodbrennen oder Zahnschmerzen – krank zu sein ist alles andere als lustig. Besonders schlimm ist es dann, wenn man neben den mitleidigen Blicken von anderen Menschen oft auch zusätzlich noch die geballte Ladung an guten Ratschlägen, Floskeln oder gar ein mehrstündiges Referat über eigene Krankheitserfahrungen selbiger über sich ergehen lassen muss. Ratschläge vom Profi natürlich inbegriffen.
Als ich neulich einer Bekannten von meinem aktuellen Problem erzählte, schaute sie mich mit großen verwunderten Augen an. Nach einer kurzen näheren Erklärung des medizinischen Fachausdrucks in verständlichen Worten kam, was kommen musste.
„Also, eine Bekannte meiner Freundin hatte das auch mal und die hat sich damals in Klinik X bei Professor Y behandeln lassen. Und eine andere Freundin von mir hat das auch und die schwört bis heute auf eine Kombination aus Schmerzmitteln und Yoga. Aber wenn Du mich fragst, ich glaube ja, mit der richtigen Ernährung bekommt man fast jedes Problem in den Griff.“
Aha.
Innerhalb von wenigen Minuten hatte sie mir die Nummer ihrer Freundin auf mein Mobiltelefon geschickt und in der Hand hielt ich einen kleinen Notizzettel mit zwei – wie sie nicht müde wurde zu betonen – exzellenten Ansprechpartnern und Kliniken gleich hier in der Nähe. Ich hatte bis dahin schon mehrfach Luft geholt und versuchte ihr einen Hinweis darauf zu geben, dass ich mich bereits in guten Händen befand – aber ich kam gar nicht zu Wort. „Und lass Dich nicht so runterziehen, Du musst jetzt ganz stark sein“, gab sie mir dann noch als Tipp mit auf den Weg, bevor sie sich umdrehte und mit fliegenden Haaren davonsauste.
Etwas anders, aber auch nicht sehr viel angenehmer war der Anruf in der von meiner Ärztin vorgeschlagenen Klinik. Mit dem Satz „Ich kann ihnen keine bessere Klinik empfehlen“, hatte sie die Latte an Erwartungen allerdings auch ziemlich hoch gehängt. Am Telefon meldete sich eine maximal genervte Sekretärin, die bei der Jobauswahl wohl besser eine Tätigkeit ohne Kontakt zu anderen Menschen gewählt hätte. Vielleicht im Bergbau, unter Tage, ohne Sonnenlicht.
Ich schilderte ihr kurz mein Anliegen und fragte nach einem Termin für die Sprechstunde.
„Ich vergebe nur OP-Termine“, kam als knappe Antwort zurück.
„Wo kann ich mich denn melden, um einen Termin für die Sprechstunde bei ihnen zu bekommen“, gab ich zurück.
„Wir vergeben immer gleich OP-Termine“ polterte es mir entnervt entgegen.
„Bevor wir uns über eine Operation unterhalten, würde ich mich aber schon gerne noch einmal von einem Arzt untersuchen lassen und besprechen, ob es vielleicht noch andere Möglichkeiten gibt.“
„Aber sie sehen den Arzt vor der Narkose doch noch kurz, da ist noch genug Zeit für ein Gespräch“, gab sie zurück.
„Ihre Klinik wirbt aber groß mit dieser Sprechstunde“, versuchte ich es ein letztes Mal.
„Wir sind eine Fachklinik“, gab sie als knappe Antwort zurück.
„Eine Fachklinik ja, aber sicher nicht für Empathie“, rutschte es mir heraus, bevor mein Daumen energisch die Taste mit dem roten Hörer drückte, der das Gespräch beendete.
Dass die Terminsuche für den Facharztbesuch zu einer solchen Geduldsprobe wird, hätte man mir gerne vorher sagen können. Kein Wunder, dass niemand gerne zum Arzt geht.
Einen kurzfristigen Termin zu bekommen ist so wahrscheinlich wie die Aussicht auf weiße Weihnachten. Es ist möglich, aber nicht realistisch.
Naja, und wie Sie sich denken können, haben auch noch etliche andere genau die gleiche Idee und sind genauso schlau wie man selbst. 4 bis 8 Wochen Wartezeit für einen Termin – die muss man dann schon einplanen.
Man ist anscheinend gut beraten, wenn man schon im Vorwege den einen oder anderen Beruhigungstee zu sich genommen hat und auch schon einmal an einem Deeskalationstraining teilgenommen hat. Schaden kann es jedenfalls nicht.
Als Patient – denn das ist meine neue Bezeichnung – lernt man schnell, wie man Dinge positiv zu seinen Gunsten umwandeln kann. Letzte Woche benötigte ich zwei Berichte und Unterlagen für zwei unterschiedliche Kliniken. „Warum denn zwei?“ fragte mich die Sprechstundenhilfe in einem freundlichen Ton, aber einem ziemlich genervten Gesichtsausdruck.
„Ich würde mir gerne noch eine zweite Meinung einholen“, gab ich als Erklärung zurück. Im Zeitlupentempo stand sie auf und ging gemächlich an ihren Schrank, um die entsprechenden Vorlagen für Ihren Drucker zu holen. Da fiel mir das kleine rosa Schweinchen neben ihrer großen Plexiglasscheibe auf und mir kam eine Idee. Ich griff in meine Handtasche und zog einen 5 Euro Schein aus dem Portemonnaie. Ohne die Arzthelferin eines Blickes zu würdigen, faltete ich den Schein einmal in der Mitte und ließ ihn ganz langsam und für sie gut sichtbar in den Schlitz gleiten. Die Wirkung ließ tatsächlich nicht lange auf sich warten. Keine fünf Minuten später hielt ich die kompletten Unterlagen inklusive Unterschrift der Ärztin in den Händen und verließ grinsend und kopfschüttelnd die Arztpraxis.
Schon meine Oma hatte vor vielen Jahren als Kind zu mir gesagt: „Schätzchen, Du darfst alles werden, aber nicht alt und krank.“ Damals habe ich nicht verstanden, was sie mir damit sagen wollte – jetzt weiß ich genau, was sie damit meinte.
Ich bin als Kind gerne bei meiner Großmutter gewesen. Keiner konnte so hervorragend Mühle spielen wie sie. Oma hatte auf alle Fragen immer die passenden Antworten und sie wusste einfach alles. Dass ein Stück Würfelzucker mit einem dicken Streich Butter jedoch nicht gegen Schluckauf hilft, habe ich erst Jahre später festgestellt.
Und nicht selten passiert es uns als Patient, dass wir immer wieder auf medizinisches Fachpersonal treffen, das schlichtweg überfordert und zu stark belastet ist. Anders lässt es sich für mich nicht erklären, wie eine Anästhesistin in dem OP-Vorbereitungsgespräch vor mir ihren Joghurt isst und dabei erzählt, dass sie es vorher noch nicht geschafft hat etwas zu essen. Möchte man sich in dieser Klinik wirklich operieren lassen oder muss man eher die Befürchtung haben, dass die Ärztin während der OP einen Schwächeanfall erleidet?
Natürlich bin ich auch ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, Witze über die ach so tödliche Männergrippe zu machen. Ist eigentlich wirklich schon mal ein Mann daran gestorben?
Auch das Schneiden an einer scharfen Papierkante kann mich durchaus zum Lachen bringen – vor allem natürlich, wenn es sich dabei nicht um meinen eigenen Finger handelt.
Ich glaube, das beste Mittel bei jeder Art von Krankheit ist ohnehin, es mit Humor zu nehmen und zu Lachen. Der Spruch „Immer wenn wir Lachen, stirbt irgendwo ein Problem“, sollte in jedem Wartezimmer hängen. Und wie wäre es statt langweiliger Zeitschriften mal mit lustigen Büchern, frechen Bildbänden und Comics? Auch ein Gästebuch könnte so einige Wartezimmer aufwerten und jeder könnte darin ein paar lustige Sprüche oder seinen Lieblingswitz verewigen.
Die Ärzte und Pfleger in unserem Land leisten großartige Arbeit und natürlich haben auch sie das Recht, mal mit dem linken Bein zuerst aufzustehen. Wir Patienten sind ja auch nicht immer einfach. Gerade was die Geduld angeht, ist speziell bei mir noch reichlich Nachholbedarf.
Doch zwischen all den Schmerzen, dem Unwohlsein und den Ängsten, die so eine Erkrankung mit sich bringt, entdeckt man die schönen Dinge des Lebens wieder einmal völlig neu zu schätzen. Ehrlich gemeinte Hilfsangebote von Familie, Freunden und Kollegen sind genauso wohltuend, wie nette Nachrichten auf dem Handy, in denen diese einfach nur mal hören wollen, wie es einem geht.
Mit jedem „pling“ ein wenig besser.
Kleine Gesten von Menschen mit einem Herz aus Gold.
Schön, wenn es solche Menschen gibt.
Bleiben Sie gesund!
06.07.2020