Serie: „Ich probiere es selbst aus.“
Teil 7: Tarotkarten legen mit Janett Getsin
Wenn Sie sich eine typische Kartenlegerin vorstellen müssten – seien Sie sicher, niemand würde weniger Ihrer Vorstellung entsprechen als Janett Getsin.
Die 51 Jahre alte Elmshornerin hat weder lange schwarze Haare noch klirrende Kreolen im Ohr noch lange Finger mit roten Nägeln. Bei ihr ist es nicht dunkel, die Wände sind nicht mit mystischen Symbolen verhängt und Flitterkram findet man in ihrer peinlich aufgeräumten Wohnung vergebens.
„Eine, die es wirklich kann.“
Um es genau zu sagen: Niemand sieht weniger nach Kartenlegerin aus als diese handfeste Frau mit dem ruhigen, klaren Blick und dem offenen Gesicht. Und doch – so hörten wir es von denen, die es wissen müssen – gehört sie zu den Besten. „Janett ist eine“, wurde uns von fachkundiger Stelle gesagt, „die es wirklich kann.“
Ruhiger, offener Blick
„Das habt Ihr gehört?“, sagt Janett und lächelt. Sie ist nicht laut, nicht leise und nicht klein. Wer sie sieht, bleibt an ihr hängen. Sie strahlt eine Ruhe aus, die nichts, aber auch wirklich gar nichts erschüttern kann. Ihr Blick ist offen. Sachlich. Mystik? Magie? Aura? Fehlanzeige.
Und dann sagt sie den einen Satz, der alles klar stellt. „Ich bin leitende Anästhesie-Schwester“, sagt sie, als würde sie eben übers Wetter sprechen.
Dort die OP-Schwester, hier die Frau mit den Tarotkarten
Janett rettet Leben. Jeden Tag. 22 Leute ist ihr Team groß, umfasst Männer und Frauen. Dort ist für Gefühlsduselei, Eso und Eteiteitei keine Zeit. Handgriffe müssen sitzen, Arbeitsabläufe auch, und wer keine Kritik abkann und nicht jede Sekunde hellwach ist, der ist in einem OP gänzlich falsch aufgehoben.
„Ich liebe meinen Job“, sagt Janett. „Mit Haut und Haaren.“
In unseren Köpfen passt das nicht zusammen. Dort die grün gekleidete OP-Schwester mit Mundschutz und hier die Frau mit den Tarotkarten? Wie geht das?
„Zufälle gibt es nicht.“
„Es ist einfach passiert“, sagt Janett und zuckt lächelnd mit den Schultern. „Vor fünf Jahren hatte ich eine schwierige Phase in meinem Leben. Ich musste einen juristischen Kampf kämpfen, der mich viel Kraft gekostet hat. Ich begann mich zu fragen, warum ausgerechnet mir das passierte. Und ob es einen Grund dafür gab. Zufälle gibt es nicht. Davon bin ich überzeugt. Alles hat einen Grund. Also begann ich, ein wenig nach rechts und nach links zu schauen. Mich mit Dingen zu beschäftigen. Mit Schicksalsfragen.“
Angefangen, Dinge zu sehen
Und dann?
„Ich habe ein bisschen Reiki gemacht. Und angefangen, Dinge zu sehen. Bilder. Das fand ich spannend. Dann habe ich festgestellt, dass ich sehen kann, was Tiere sehen. Ich kann mit ihnen kommunizieren. Sogar über die Ferne oder nur über Bilder. Ich kann Dir sagen, was mit Deiner Katze nicht stimmt, wenn Du mir ein Bild zeigst. Fragt mich nicht, es ist einfach so. Warum? Keine Ahnung. Ich kann das weder begründen noch erklären. Vielleicht ist es tatsächlich Telepathie.“
Bilder kommen nicht ungebeten
Macht Dir das keine Angst?
„Nein. Nie. Manchmal sind die Bilder, die die Tiere sehen, schlimm. Vielen Tieren wird Schlimmes angetan. Da brauche ich dann einen Moment, um das abzuschütteln. Aber die Bilder kommen nur, wenn ich es will. Sie kommen nicht ungebeten.“
Wie weit bist Du im Reiki gekommen?
„Ich habe den Meistergrad.“
Und wie bist Du zum Kartenlegen gekommen?
Eben noch ein Blatt gelegt
„Ich habe mir Tarotkarten gekauft und ein Buch dazu. Und angefangen, mich damit zu beschäftigen. Karten sind auch sehr spannend. Ich interpretiere die Karten. Für mich und für andere. Bevor Ihr eben gekommen seid, habe ich auch noch ein Blatt gelegt.“
Und was hat es gesagt?
„Sympathie, nettes Gespräch und eine bittere Erkenntnis.“
Oh. Okay. Äh, hm. Das ist ja eher unschön. Wollen wir das wirklich wissen? „Dafür sind wir hier“, sagt Maike entschlossen. Okay.
Was sagen Dir die Karten, wenn Du sie legst?
„Ich sehe Bilder oder Gefühle. Und die kann ich erklären.“
Und tritt das, was Du siehst, ein?
Trefferquote von mehr als 80 Prozent
„Die Karten können nur maximal einen Zeitraum von sechs Monaten abdecken. Und ja, es trifft oft zu, was ich sehe. Meine Trefferquote liegt bei mehr als 80 Prozent. Ich lege ja oft auch für wildfremde Menschen, die ich überhaupt nicht kenne. 98 Prozent davon fühlen sich ertappt von dem, was ich sage.“
Ui. Kann man die Karten alles fragen?
„Nein. Ja-/Nein-Fragen funktionieren nicht. Und Fragen, die sich auf die Zukunft anderer beziehen, wie zum Beispiel den Partner oder die eigenen Kinder, funktionieren auch nicht. Es sei denn, der Betreffende hat zugestimmt.“
Was sagen die Kollegen?
Wissen Deine Kollegen von Deiner Leidenschaft für das Kartenlegen?
„Selbstverständlich. Anfangs fanden sie es ganz schön schräg (lacht), aber jetzt ist es für sie normal. Manchmal fragen sie mich auch, ob ich mal kurz legen könnte. Das tue ich dann. Manch einer sagt dann gern: ‚Glaube ich sowieso nicht.’ Häufig kommen sie Wochen später zu mir und sagen: ‚Du hast recht gehabt, Janett.’“
„Die Karten lösen keine Probleme.“
Wenn Du die Karten auch für Dich legst, kannst Du Dich auch davon frei machen?
„Ja, natürlich. Die Karten nehmen einem nicht die Verantwortung ab. Und die Entscheidungen erst recht nicht. Ganz im Gegenteil. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Jeder hat seinen Verstand, den er bitte auch benutzen soll. Die Karten fordern einen lediglich auf, sich mit bestimmten Dingen zu beschäftigen. Aber das Problem lösen sie nicht. Das muss schon jeder selbst tun. Das sage ich auch immer den Leuten, die zu mir kommen. Ich nehme jeden in die Verantwortung. Die Karten zeigen Dir den Weg. Aber gehen musst Du ihn schon allein.“
Und wenn Du etwas Unangenehmes oder Schlimmes siehst?
„Wie den Tod zum Beispiel?“
Ja.
Fragen nach Trennung, Liebe und Tod
„Dann sage ich es nicht direkt, sondern umschreibe es. Ich lüge nie. Das mache ich nicht. Ich habe eine Verantwortung für mich. Und auch eine für mich als Kartenlegerin.“
Was fragen die Leute?
„Die meisten kommen mit den Themen Trennung, Tod, Liebe, Partnerschaft und Beruf. Meistens stehen sie vor einer wichtigen Entscheidung und erhoffen sich einen Rat.“
So wie wir. Okay. Zeit es auszuprobieren.
Maike soll ziehen
Wir sind ein wenig aufgeregt. Janett legt die Karten im Besprechungsraum an einem kleinen runden Tisch. In der Ecke steht eine zusammengeklappte Liege – für die Reikibehandlungen. Maike setzt sich gegenüber. Sie darf ziehen, ich fotografieren. „Ist der Tisch nicht zu klein?“, will Maike wissen. „Nein, gar nicht“, sagt Janett. „Er muss so groß sein, dass das Blatt darauf passt. Und so klein, dass Du zum Beispiel Dich herüber beugen und eine Karte ziehen kannst.“
Janett greift zu ihrem Karten-Deck. Es ist ein schlichtes Waite Tarot, benannt nach dem englischen Okkultisten Arthur Edward Waite. Wer es schon mal gesehen hat: Die Motive sind sehr strichlastig und beinhalten viel Gelb und Hellblau. Das Waite Deck ist eines des handlichsten Tarotkarten-Decks, weil die Karten nicht so groß sind.
Die Blume des Lebens
Wir mischen nicht. Nur Janett. Über ihrem Tisch hängt ein Mandala. Genauso schlicht wie Raum, Karten und Tisch. Janett trägt das gleiche schlichte Motiv als Anhänger um den Hals und als Stecker in den Ohren. Es ist die einzig sichtbare Hommage an ihre „anderen“ Fähigkeiten. „Das ist Blume des Lebens“, sagt sie, als wir sie darauf ansprechen. „Für mich ist es das größte Kraft- und Schutzsymbol, das es gibt.“
„Was wollt Ihr wissen?“, fragt sie.
„Wie es mit der Pinnebergerin weitergeht“, antworten wir etwas kribbelig.
„Ok, sagt Janett. „Das hier kann nur für die nächsten paar Monate gelten, ok?“
Ok.
Der Narr
Sie stellt die Frage laut. Während sie mischt, fällt eine Karte heraus. Es ist der Narr.
„Das ist interessant“, sagt Janett. „Auch die Karten, die beim Mischen herausfallen, haben eine Bedeutung.“
Ja? Oh je. Maikes Augen werden kugelrund. Und dann ausgerechnet der Narr! Ich weiß nicht so genau, wie ich das finden soll.
Janett lächelt. „Keine Sorge. Das ist keine schlechte Karte. Sie steht für sich ausprobieren, keine Angst haben, etwas Neues wagen. Und genau das tut Ihr doch gerade.“
Ja, das stimmt. Puh.
Keltisches Kreuz
Janett breitet die Karten mit der Rückseite nach oben in einer Reihe aus. Maike soll zehn Karten ziehen, die Janett in einer bestimmten Anordnung verdeckt auf den Tisch legt. „Ich bin aufgeregt“, sagt Maike hibbelig. „Zieh bloß nichts Falsches“, sage ich.
„Ich werde ein keltisches Kreuz legen“, sagt Janett. „Das ist ein sogenanntes großes Blatt, das wie ein Kompass sein kann. Karte eins, die ganz linke, zeigt, wie es vor Kurzem war.“
Sie dreht sie um. Es ist die Königin der Kelche.
„Sie steht für Gefühle. Ihr habt ziemlich viel mit Euren Gefühlen zu tun gehabt dieses Jahr.“
Maike nickt. Oh ja, das stimmt.
Gefühle, Trauer, Neubeginn
Die beiden Karten übereinander in der Mitte entpuppen sich als Fünf der Kelche und Acht der Münzen.
„Die Fünf der Kelche steht für Trauer, die Acht der Münzen für einen Neubeginn.“
Ja, das stimmt auch. Es war ein aufregendes Jahr. Manche Entscheidungen sind uns nicht leicht gefallen. Es war auch mit Verlust verbunden. Und manches, was wir aufgegeben haben, bedauern wir. Und ja, die Pinnebergerin ist ein Neubeginn. Und zwar ein sehr guter.
Mehr Karten werden umgedreht.
Der Gehängte
„Der Gehängte und der König der Kelche zeigen auf dieser Position, was innerlich und äußerlich ist.“
Den Gehängten finde ich ziemlich doof. Wie den Narren.
„Der Gehängte ist auch keine negative Karte, im Gegenteil“, sagt Janett. „Er zeigt eine Umkehr, eine Veränderung an. Euch ist klar, dass Ihr etwas verändert wolltet. Der König der Kelche steht für Gefühle. Auch hier spielen sie eine Rolle.“
In der Mitte dreht sie die Zehn der Münzen um.
Janett lacht. „Also, Ihr macht das auch, um Geld zu verdienen, richtig?“
Wir lachen. Naja, ein Hobby ist die Pinnebergerin nicht, sondern etwas, von dem wir leben möchten.
„Nun, zumindest in den nächsten Monaten müsst Ihr das nicht umsonst tun“, sagt Janett. Das beruhigt. Immerhin müssen wir auch unsere Kinder ernähren.
Ohne Kampf geht es nicht
Die letzten vier Karten rechts sind der Ritter der Schwerter, Zehn der Kelche, Ass der Münzen und Sechs der Münzen.
„Hier geht es um Eure eigenen Handlungen, um Euer Umfeld und um Chancen und Hoffnungen und die Aussicht für das nächste halbe Jahr“, sagt Janett. „Euer Umfeld findet großartig, was Ihr macht.“
Maike lacht. „Ja! Das höre ich oft!“ Ich nicke. Ich auch.
„Sechs der Münzen weist Euch darauf hin, dass Ihr lernen müsst, zu geben und zu nehmen in gleichen Teilen, und dass Ihr auch Unterstützung von anderer Seite bekommen werdet. Das wird zu vielen guten Ergebnissen auf allen Seiten führen. Aber klar ist auch: Ohne Kampf geht es nicht. Zurücklehnen ist nicht, Ihr müsst etwas tun dafür. Ihr beide befindet Euch noch nicht ganz in einer Symbiose miteinander. Ihr müsst Euch auch in den Konflikten, die Ihr miteinander habt, arrangieren und Euch aneinander reiben. Ein bisschen wie in einer Ehe. Um gemeinsam vorwärts gehen zu können und Euer Ziel zu erreichen.“
Ein gutes Blatt
Ja, das stimmt. Geschenkt wird einem nichts in diesem Job. Warum auch. Jeder muss für sein Geld arbeiten. Das finden wir richtig und gerecht.
„Aber ist das nun gut oder schlecht, was da liegt?“, will Maike wissen. „Und was hat es mit Narren auf sich?“, will ich wissen.
Janett lächelt uns an. „Das ist ein gutes Blatt, ein positives. Und zusammen mit dem Narren, der so heraus gepurzelt ist, ist es auch etwas, das Euch Spaß macht und das Ihr mit Leichtigkeit bei den Hörnern packt. Im Grunde sagen die Karten Euch: Ihr habt alles, was Ihr für Eure Pinnebergerin braucht. Ihr müsst den Weg nur so weitergehen.“
Wir lachen uns an. Ja? Maike strahlt. Freuen uns. Gute Entscheidung, sagen unsere Augen.
Danke Janett! Das war großartig.
Die bittere Erkenntnis
Die angekündigte bittere Erkenntnis, die Janett morgens um acht Uhr gesehen hatte, ist, was die Pinnebergerin betrifft, ausgeblieben. Maike allerdings hat nach der Pinnebergerin noch zwei weitere Fragen gestellt. Privat. Und da lag sie dann. Die bittere Erkenntnis. Sie hatte etwas mit Maikes Ehrenamt zu tun. Und mit einer großen Veränderung, die 2019 ansteht.
„Die Karten weisen Dir den Weg“, sagt Janett. „Entscheiden musst Du.“
Das hat Maike getan. Und eine Entscheidung getroffen, die sie schon lange aufgeschoben hatte. Und mit der sie sich jetzt wieder großartig fühlt.
Und so gesehen war die Erkenntnis nicht bitter. Sondern lehrreich. Und gut.
Danke, Janett!
Weitere Informationen:
Janett Getsin (51) aus Elmshorn ist hauptberuflich leitende Anästhesie-Schwester. Seit fünf Jahren legt sie im Nebenerwerb Tarotkarten und bietet Reikibehandlungen und Tierkommunikation (jeweils 50 Euro/Sitzung) an. Sie hat keine Homepage. Wer zu ihr kommt, kommt auf Empfehlung. Oder hat diese Nummer von Freunden zugesteckt bekommen…
Janett Getsin
Mobil: 0176 / 45 96 69 96
E-Mail: jgetsin@web.de
Fotos: Birgit Schmidt-Harder
28.12.2018
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